Theorie und Praxis der
geistigen Versenkung

 

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Vorwort

 

Der Meditierende sucht kein philosophisches System, in dem Ewiges bewiesen wird, er sucht auch keinen Glauben in dem Sinn, etwas für wahr zu halten, das dem Verstand nicht durchschaubar ist. Er spürt vielmehr besonderen Kräften nach, die sich in ihm manifestieren.   

 

Im Menschen zeigen sich, allem Tiergleichen zum Trotz, bestimmte Fähigkeiten, die ihn sichtlich vom Tier unterscheiden: sein Vorstellungsvermögen und vor allem sein reflektierendes Bewusstsein. Aber auch seine hoch entwickelte Sprache, seine Abstraktionskraft und seine Begriffsbildung sind hier als Merkmale anzuführen, seine Schrift, sein Ausbruch aus der animalischen Instinktbindung. Wer geistige Versenkung übt, nimmt an, dass dies alles nicht nur Folge einer natürlichen Mutation, einer blossen Weiterentwicklung des Grosshirns ist, sondern zugleich Ausdruck einer anders gearteten, einer transzendenten Potenz, die im Tierhaften des Menschen verborgen wirkt. Zwischen diesem übergeordneten Kraftzentrum und dem natürlichen, diesseitigen Bewusstsein müsse sich eine fühlbare Verbindung herstellen lassen. Ewiges könne so schon während des irdischen Lebens erfahren werden. Diese Annahmen stehen aber am Beginn meditativer Arbeit nicht als Gewissheit, sondern nur als Arbeitshypothese. Die Praxis soll sie erproben, die gebrauchten seelischgeistigen Organe sollen geweckt und geschult werden, bis der Übende die Wirklichkeit des zuerst nur Vermuteten erfährt.

 

Für eine solche neue Aneignung des Unbewussten müsste der nun erreichte hohe Grad rationalen Bewusstseins kein Hindernis sein. Im Gegenteil, die durch wissenschaftliches Denken erworbene Genauigkeit und Konzentrationskraft könnten sich auf den transzendierenden seelischen Fühlakt selbst übertragen lassen. Gewiss sucht der Meditierende beim Einsinken in sein Unbewusstes ‑ heute wie ehedem die Grenze irdisch‑sinnlicher Wahrnehmung zu überschreiten, aber eben weil er die Irrungen mythischer Träume nicht mehr zu fürchten hat, kann er nun nüchtern vorgehen und die Aussagen von Mythos und Offenbarung über die Struktur des Unbewussten in neuer Weise zu Rate ziehen und nützen. Manches Unvorstellbare lässt sich auch heute noch dem Empfinden am ehesten in mythischer Sprache nahe bringen, es wäre überheblich, Sprachweise, Erfahrung und Erkenntnis vergangener Jahrtausende unbeachtet zu lassen. Die Rückkehr zu solcher Erfahrung wird jedoch kaum kreisförmig im Ebenen verlaufen, wird nicht bloss frühere Bewusstseinszustände wiederholen, sondern eher einer Spiralbewegung gleichen, die erhöhte irdische Bewusstheit mit wachstem transzendenten Bewusstsein vereint in einem neuen menschlichen Ganz‑Sein.

 

Wilhelm Bodmershof

 

 

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